Entwicklung zur lernenden Organisation

„Gemeinsam lernen“- das entspricht einem modernen Verständnis von produktiver Zusammenarbeit. Letzten Endes geht es darum, als Organisation veränderungsfähig zu sein. Ziel sind flache Hierarchien, die es Mitarbeiter/innen ermöglichen, sich projektbezogen immer wieder neu zu vernetzen und eigenverantwortlich Ihre Kompetenzen einzubringen. Und das nicht als Selbstzweck, sondern um zeitnah auf Kundenbedürfnisse und Veränderungen in der Umwelt eingehen zu können.

Werfen wir nun einen Blick auf die Gelingensbedingungen für kollaborative Zusammenarbeit. Die erste wesentliche Grundlage dafür sind moderierte Aushandlungsprozesse, die einem Team helfen, unterschiedliche Perspektiven zu verbinden. So kann ein gemeinsamer Fokus entstehen, für den gern gearbeitet wird. Die zweite wichtige Grundlage ist eine Kultur der Reflexion, mit deren Hilfe das gemeinsame Wirken rückblickend auf der Beziehungs- und der Sachebene analysiert wird. Missverständnisse werden ausgeräumt und es entsteht Vertrauen.

Zentrale Elemente

Kommuni-kative Kompetenz

Kommunikative Fähigkeiten wie Moderation, Verhandlungsführung, Feedback geben und in Konflikten vermitteln sind die Basis für komplexe (interdisziplinäre) Zusammenarbeit

Iterative Arbeits-phasen

„Segeln auf Sicht“ ist die Devise. Agile Formate wie Scrum ermöglichen es Teams in kurzen Zeiträumen (z. B. zwei Wochen) eigenverantwortlich zusammen zu arbeiten und ihre Ergebnisse Runde für Runde nutzerorientiert weiterzuentwickeln.

Entschei-dungs- & Meeting-kultur

Die Gruppenintelligenz von Teams steigt mit höherem sozialem Einfühlungsvermögen, dem Anteil an Frauen und nicht dominantem Kommunikationsverhalten. Das zeigen wissenschaftliche Studien. Wenig Einfluss hatten in diesen Studien Motivation, Zusammenhalt und die Zufriedenheit der Teilnehmenden.

Strategie & Leitbild

Genauso wichtig wie das Ergebnis ist bei einer Leitbildentwicklung ein beteiligungsorientierter Prozess. In diesem können sich Sichtweisen sinnvoll ergänzen oder konstruktiv „ent-täuscht“ werden. Ergebnis ist ein kollektives, handlungsleitendes Zielbild.

Wenige, aber klare Regeln

Ähnlich dem Straßenverkehr braucht Selbstorganisation wenige, aber klare Regeln. Diese sollten beim Eintritt in ein System erlernt und innerhalb auch nachgehalten werden.

Transparente Information

Um die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu verbessern, ist ein transparenter Informationsraum wichtig. Um einen solchen Raum zu schaffen, ist es wichtig das (Erfahrungs-)wissen der Organisation beziehungsorientiert und intuitiv zugänglich zu organisieren.

Psycholo-gische Sicherheit

In der Studie „Aristotle“ von Google ist der zuverlässigste Indikator für exzellentes Teamwork, das Gefühl, „alles sagen zu können was man denkt“. Wer keine Angst hat, traut sich Fehler zu machen und Risiken einzugehen. Das macht innovativ.

HR-Instrumente

Personalinstrumente haben einen großen Einfluss auf die Kultur der Zusammenarbeit. Eine stärkere Fokussierung auf die Entwicklung von Rahmenbedingungen und Werten kann helfen ein Ökosystem des gemeinsamen, bereichsübergreifenden Lernens sowie eigenverantwortlichen Handelns zu schaffen.

Führungs-verständnis

Nach Professor Peter Kruse werden in Zukunft vor allem Führungskräfte erfolgreich sein, die neben Kompetenzen des Optimierens, Koordinierens und Coachens, folgende beiden Fähigkeiten beherrschen: zum einen die Moderation sich ergänzender fachlicher Perspektiven und zum anderen die Stiftung eines gemeinsamen Sinnempfindens.

Der Veränderungsprozess

Manche Organisationen versuchen, steigenden Anforderungen mit altbekannten Handlungsstrategien zu begegnen. Zum Beispiel, indem Sie „Kosten reduzieren“, „Transparenz herstellen“, „Handlungsdruck aufbauen“ oder „eine Taskforce einsetzen“. Professor Peter Kruse karikierte diese Denkweise mit folgenden Worten „Seien Sie kreativ, aber bitte auf Knopfdruck“. Das kann nicht funktionieren, vor allem nicht, wenn die zu lösenden Probleme komplex sind. Mehr Druck führt zu Fokussierung und Anspannung, weniger zu Kreativität und intelligenten Gruppenentscheidungen.

Nach Ashbys Gesetz muss eine Organisation die Komplexität der Umwelt in Ihren internen Strukturen abbilden, sonst kann sie keine adäquaten Lösungen entwickeln. Um das zu erreichen, empfiehlt es sich mit zeitlichem Vorlauf Rahmenbedingungen zu schaffen, die Kompetenzvielfalt und Vernetzung ermöglichen. Die Veränderung sollte in vielen Bereichen der Organisation gleichzeitig stattfinden: Strategie, Führung, Personalinstrumente, Kultur und Arbeitsprozesse. Nach André Häusling kann sie nur nachhaltig sein, wenn alle genannten Dimensionen eingeschlossen werden. Es geht also um eine tief greifende Veränderung, die nach Breidenbach/Rollow auch eine persönliche Entwicklung der Mitarbeitenden voraussetzt. Denn diese müssen individuell in ihrem Inneren Orientierung und Kompetenzen aufbauen, wenn sich Organisationsstrukturen im Außen verflüssigen sollen. Erst dann können viele, gemeinsam Verantwortung übernehmen, ohne dass es zum Chaos kommt.

Wie viel Potenzial eine Beteiligungsstrategie hat, zeigt sich in einer großflächigen McKinsey Studie (2015) zum Erfolg von Veränderungsprojekten. Einer der wichtigsten Gründe, warum fast 70 % der untersuchten Change-Projekte scheiterten, lag darin begründet, dass die inneren Haltungen und Denkmuster der Mitarbeitenden nicht offen thematisiert wurden. Ein vielversprechender Weg ist es deshalb, echte Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen und offen miteinander zu sprechen.

10 Fragen, die Sie sich stellen sollten:

  • Wie verhindern wir, dass Alltagsfragen immer wieder zu Grundsatzdiskussionen führen?

  • Wie treffen wir Entscheidungen? Wer wird in welche Entscheidung mit einbezogen?

  • Wie kontrollieren wir die Qualität unserer Arbeit?

  • Welche Informationen sind für alle wichtig? Informiert zu sein, ist das eine Bring- oder eine Holschuld?

  • Wie definieren wir Rollen und Arbeitsprozesse? In welchem Rhythmus werden diese weiterentwickelt?

  • Wie vergüten wir Leistung? Wie können wir intrinsische Motivation anregen und Teamwork attraktiver machen?

  • Wie wählen wir neue Mitarbeiter/innen aus und trennen uns von Menschen, die nicht zu uns passen?

  • Wie tief geht unsere Reflektionskultur? Ist es möglich Prozesse der Zusammenarbeit beziehungs- und problemorientiert zu besprechen, ohne bei der Schuldfrage zu landen?

  • Werden Strategie, Organisationsstruktur und Ziele top down gesetzt, oder bottom-up entwickelt? Wer darf wie viel mitbestimmen?

  • Welche Prinzipien leiten unser Handeln und welche Werte sind uns wichtig?

10 Einstiegspunkte für den Wandel:

  • Einführung von Prozessformaten, wie Scrum für die agile Zusammenarbeit im Team

  • Bereichsübergreifende Innovationsprojekte (Design Thinking, Hackathlons, usw.)

  • Entwicklung einer kollaborativen & effizienten Besprechungskultur

  • Führungsverantwortung partiell und neigungsorientiert aufteilen

  • Einführung einer Fachkarriere- und Projektmgmt.-Laufbahn (neben der Führungslaufbahn)

  • Ein Wissensmanagementsystem, das das organische Wachstum eines beziehungsgetriebenen Organisationsnetzwerkes anerkennt.

  • Trainingsmaßnahmen zur Entwicklung sozialer und kommunikativer Kompetenzen

  • Software-Nutzung zur Schaffung eines einheitlichen Informationsraums und der Optimierung der Kommunikation

  • Kollektive Strategie- und Leitbildentwicklung mit klaren Grenzen der Mitbestimmung

  • Bedürfnisorientierte Prozessoptimierung und Visualisierung von Arbeitsabläufen

Wann macht agile Zusammenarbeit Sinn?

Ein System organisiert sich nicht von selbst. In selbstorganisierten Teams steigt der Koordinations- und Kommunikationsaufwand im Vergleich zu einer hierarchisch aufgebauten Organisation. Alle müssen das „Big Picture“ kennen und sich immer wieder mit den Kollegen/innen abstimmen, um Prozesse und Strukturen dezentral weiterzuentwickeln. In komplexen Umfeldern werden menschliche Beziehungen und die gemeinsame Übernahme von Verantwortung wichtiger, weil Arbeitsabläufe als leitende Struktur für die Zusammenarbeit nicht mehr beständig genug sind. Menschliche Beziehungen funktionieren aber nur gut, wenn sie gepflegt werden. Das kostet Zeit und Energie, abgesehen von der Tatsache, dass es natürlich auch Spaß machen kann. Wenn die professionellen Beziehungen konstruktiv und belastbar sind, dann bleibt die Frage, wer in einem Team fähig und gewillt ist, Mit-Verantwortung zu übernehmen. Denn auch diese individuelle Kompetenz begrenzt die Möglichkeit zur Selbstorganisation.

Wenn das Umfeld in dem sich die Organisation bewegt, wenig dynamisch ist und Arbeitsabläufe über längere Zeit stabil existieren, bringt eine hierarchische Struktur viele Vorteile mit sich. Es können Routinen entwickelt, langfristig geplant und Entscheidungskompetenzen unmissverständlich einzelnen Personen zugeordnet werden. Der Aufwand für den Austausch von Informationen ist begrenzt und Spezialisierung ist unkompliziert möglich. Zudem sind die Reaktionszeiten relativ kurz und die Präzision ist hoch.

In Arbeitsbereichen, in denen ein hoher Schaden entstehen kann und deshalb schnelle Reaktionszeiten sowie psychische Stabilität gefragt sind, sind klare Verantwortlichkeiten Trumpf. Ein Beispiel dafür sind die Einsatzkräfte der Bundeswehr, aber auch die Küche in einem Sterne-Restaurant. Eine klare Struktur und gutes Timing sind essenzielle Grundlagen für deren Erfolg. Ähnlich verhält es sich, wenn man den Arbeitsalltag in der Notaufnahme eines Krankenhauses beobachtet. Auch hier spielen klare Verantwortlichkeiten und schnelle Reaktionszeiten eine große Rolle.

Ein hoch entwickeltes agiles Team wäre im Vergleich zu einem hierarchisch arbeitenden Team eventuell konkurrenzfähig, fraglich ist in der Praxis jedoch, ob die Mehrkosten des Trainings- und Koordinationsaufwandes seinen Einsatz rechtfertigen – von Rekrutierungsengpässen abgesehen.

V

Volatilität

Entscheidungsparameter, wie zum Beispiel Preise, schwanken stark. Es gibt „Aufschauklungseffekte“

U

Unsicherheit

Es gibt wenig Planungssicherheit, weil sich der aktuelle Zustand schnell und unvorhergesehen verändern kann

K

Komplexität

Entscheidungen werden von sehr vielen Variablen beeinflusst, die oft voneinander abhängig und schwer isolierbar sind

A

Ambiguität/ Widersprüchlichkeit

Fehlende Eindeutigkeit der Bedeutung eines Ereignisses. Z. B. sich widersprechende Schlagzeilen in den Medien

Anders sieht es aus, wenn sich die Anforderungen der Umwelt an die Organisation ständig verändern und für den Einzelnen nicht absehbar ist, wohin sich das „große Ganze“ entwickelt. Märkte sind transparenter und kompetitiver geworden, Innovationszyklen kürzer und umweltbezogene Abhängigkeiten, sowie Kundenanforderungen sind gestiegen. Die technologische Entwicklung erhöht den Takt, und die Komplexität im Arbeitsleben führt zu vielen Widersprüchen.

Das sind gute Gründe, die dafür sprechen, kollaborativ und damit effizient zusammenzuarbeiten. Ein positiver Nebeneffekt der Anpassungsfähigkeit, die dabei entsteht, ist eine höhere Krisenstabilität. Wenn viele Menschen die Organisation gemeinsam steuern, dann steigt deren Widerstandskraft und das kurzfristige Potenzial der Erneuerung – was wiederum zu einer höheren Zufriedenheit bei den Beschäftigten führen kann. Sie können sich mit ihren Ideen verwirklichen und fühlen sich in Folge oft wohler bei ihrem Arbeitgeber. In Zeiten des Fachkräftemangels spielt Mitarbeiterbindung eine wichtige Rolle und kann schon für sich allein gesehen ein Argument für einen Veränderungsprozess in Richtung „lernende Organisation“ sein.